Kalenderblog vom Ivo

11 Oktober 2005


Dienstag – Eines fällt im schon sehr kapitalistischen Kanada auf, wenn man einen Bus besteigt: mindestens die Hälfte der Werbeplakate ist nicht kommerziell, wirbt für Umwelt-, AIDS- oder Verkehrskampagnen oder gegen die Diskriminierung von Behinderten oder gegen häusliche Gewalt. Die Frage ist nun, wer bezahlt denn diese Werbeplätze? Ist es der Staat? Geht hierhin das ganze Geld von PST und GST und von den hohen Steuern, über die sich viele Vancouverites beschweren? Führt der Staat hier ein Komplott gegen die kommerzialisierende Bevölkerung durch, um sie vor dem vollkommenen Kapitalismus zu retten, und diese beschwert sich darüber, ohne die Erlösung zu erkennen? Vielleicht sind es aber auch nur Organisationen, die sich das Geld dafür mühsam erbetteln müssen. Ist es aber möglich, dass diese der Busgesellschaft mehr zahlen als die Konzerne?

Vielleicht ist dieser Komplott auch die Antwort zu einem Problem mit der Regierung, das eine brasilianische Studentin meiner Schule hat: Sie möchte ihr Visum verlängern, musste aber feststellen, dass sie dafür nicht nur den Dschungel der Bürokratie durchforsten muss, sondern dass davor sogar noch einige beamte Holzköpfe Wache stehen, um sie zu nerven. Sie erhält keine Antwort auf Briefe und am Telefon kann ihr niemand helfen. Nun soll sie nach Seattle (USA!) fahren, um dort ihr Visum für Kanada (!) abzuholen, da dies in Kanada nicht möglich ist. Um in die USA reisen zu können musste sie natürlich zuerst ein Visum für die USA beschaffen. Nun wäre dies "kein" Problem, wenn sie sicher wäre, dass sie in Seattle ihr Visum auch tatsächlich erhalten wird. Ich weiss nun nicht, wie sie sich entscheiden wird, ob sie in illegal in Kanada bleiben wird oder es wagt, in die USA zu reisen. Der genaue Zusammenhang dieser Situation mit dem Komplott müsste jedoch noch abgeklärt werden.

China sollte ja eigentlich im Gegensatz zu Kanada nicht kapitalistisch, sondern kommunistisch sein. Wenn man jedoch Chinatown südöstlich von Downtown – übrigens ist in Nordamerika nur San Franciscos Chinatown grösser als Vancouvers – als Tourist besuchen will, merkt man schnell, dass das Wort "Chinatown" eben gerade impliziert, dass man sich nicht in China befindet. So kehren auch wir um, als wir das Preisschild bei Dr. Sun Yat Sens chinesischem Garten sehen, gehen, vorbei an den vielen chinesischen Märkten, wo diverse grässlich duftende getrocknete Meerestiere und feinste orientalische Gewürze zur Selbstbedienung in Körben aufliegen, zur Bushaltestellen und steigen in einen Bus, der uns ins Herz der Stadt führt, wo – kapitalistisch oder nicht – Pizzas für $ 1.- verkauft werden.

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