Dienstag – Der Tag beginnt vergleichsweise ruhig mit gemütlichen zwei Schulstunden. Was sollen wir mit dem langen Rest des Tages anfangen? Keine Ahnung, also gehen wir ins urbane Herz Vancouvers, der Robson Street. Wir verbringen einige Zeit mit herumirren und -sitzen und natürlich, wie üblich, Leute beobachten und fotografieren. Wir besuchen einen Secondhand-CD-Laden und später ein Geschäft für Musikinstrumente und alles andere, womit man Musik machen könnte (ausser Handies; wenn man das Musik nennen darf). Tim begibt sich ins Untergeschoss zu den Schlagzeugen, Stefan begutachtet die Gitarren und ich gehe in den ersten Stock (hier: 2nd Floor), wo sich Computer und Tonstudiogeräte im Wert von zehntausenden Dollars stapeln. Das Mittagessen geht unter der Aufregung verloren.
Der Abend knüpft an die sich während des Tages stets steigernde Aufregung an. Viva, Las Vegas! Kazu, Antoine, Milka, ihr Sohn Bobby und ich gehen ins Kasino. Wir nähern uns im Minivan dem Kasino, einem riesigen Hotelkomplex mit viel Kitsch, Beleuchtung und Bildschirmen, die die auf dem Highway vorbeifahrenden Autos zum Kasino locken sollen. Die Leute scheinen emsig am spielen zu sein, der – ebenfalls riesige – Parkplatz ist fast voll. Im Kasino werden wir von 100'000 Lämpchen, hunderten Spielmaschinen, 200 Überwachungskameras und dem Sicherheitspersonal empfangen. Nach Taschen- und Ausweiskontrolle lassen uns die starken Sicherheitsmänner auf die Automaten los. Für sie nur schade, dass ich meine Prinzipien habe und befolge, und eines davon ist, keine Firmen zu unterstützen, die arme Rentner um ihr Geld betrügen – soviel zum Spielen. Ich streife also in den Gängen umher und schaue den Leuten zu, wie sie die Automaten füttern – alle mit der Hoffnung, irgendeinmal viel Geld zu gewinnen, doch wohl niemand, dem das je gelingen wird. Ich sehe einen Mann, der auf Krokodile auf seinem Display klickt, ungeachtet dessen, dass die Knöpfe seines Automaten (ohne Touchscreen) blinken. Es erklingt eine Durchsage, das Kasino gratuliere Frau Soundso, die am 5-Cents-Automaten Nummer Soundso gerade etwas über 1'700 Dollars gewonnen hat. Ja, auch ich gratuliere ihr, das ist ein guter Zeitpunkt für sie, nach Hause zu gehen. Kazu sitzt am 1-Cent-Automat mit der Seriennummer 1349842 (zum Glück habe ich mein Notizbuch dabei, um wichtige Details aufzuschreiben) und verliert gerade in kleinen Portionen Geld. Ich soll ein paar Runden für sie einspringen und die Aufgabe übernehmen, den Knopf zu drücken. Ich gewinne für sie etwas über 150 Cents von ihren verlorene 5 Dollars zurück … und verliere sie wieder. Das aufmunternde an Spielautomaten ist, dass sie sich immer so verhalten, als ob man gewinnen würde. Ich streife nochmals ein wenig zwischen den Automaten umher und mache einige Fotos (Darf man das?). Wahrscheinlich werde ich bereits von den hunderten Überwachungskameras verfolgt, wegen meinem verdächtigen Verhalten. Mir fallen die Leute auf, die eine Art Kreditkarte an einem gelben Halsband in die Automaten stecken – Hardcore-Gamblers. An allen Automaten erscheint in einem kleinen Display eine Nachricht "
Winners know when to stop". Nur, wenn ein Hardcore-Gambler seine Karte in den Spielautomat gesteckt hat, steht an dieser Stelle "
Good Luck" und dahinter der Name des Hardcore-Gamblers: "
Good Luck San, Dave, Mei, Beata, Chu, May, Mei (ja, noch einmal),
Gregory, Ophelia!" Ich gehe zurück zu Kazus Automaten. Hier kämpft inzwischen Antoine immer noch mit denselben 5 Dollars wacker gegen die Stochastik. Nach einigen weiteren Minuten Knopfdrücken gelingt es ihm schliesslich sogar, auf den Betrag von 5.04 Dollars zu gelangen. Intelligent wie wir sind, brechen wir an diesem Punkt ab und bringen Kazu stolz ihre 5 Dollars Einsatz plus 4 Cents Gewinn in Form eines Kasinogutscheins, den der Automat ausgedruckt hat. Wir gehen zu Milkas Automaten, wo sie gerade den letzten Rest ihrer vierzig Dollar verspielt. Teils amüsiert, teils arm, teils enttäuscht vom Kasino (Antoine, der 5 Dollars innert zwei Minuten verspielt hat) verlassen wir den Komplex. Die Kameras sind bestimmt froh, dass sie nicht mehr den verdächtigen Umherstreifenden mit dem Notizbuch und der Kamera beobachten müssen, und ich bin froh, dass sie mich nicht mehr beobachten.